Du kannst den Kopf nicht mehr halten

NW P20 Spezielles

Gesund kann das nicht sein: Johannes Weißenfeld, Bugmann des Deutschland-Achters und Medizinstudent, über Schmerz, Sucht und Lust eines Ruderers.

Kann man schon zum bestandenen Physikum gratulieren?

Ja, auf jeden Fall.

Sie sind erst 24 geworden. Das ging ja schnell, trotz Leistungssports.

Viele meiner Kommilitonen sind noch etwas jünger, aber ich gehöre noch nicht zum alten Eisen. Von mir fällt eine Riesenlast ab. Es war ja mein zweiter Versuch. Ich bin im Frühjahr schon einmal durchgefallen. Ich hatte auf das Trainingslager verzichtet und mich entschlossen, in Dortmund allein zu trainieren und zu Hause effektiver zu lernen, und da bin ich mit drei Punkten zu wenig durchgerasselt. Von 320 möglichen, also sehr knapp. Das hat mich dann motiviert. Ich habe gesagt, wenn ich schon bestehe, dann will ich nicht nur knapp bestehen. Es war also ganz gut, dass ich durchgefallen bin.

Wirklich?

Ja. Weil ich alles noch mal gelernt habe, hatte ich es diesmal deutlich besser drauf. Ich hatte im Trainingslager in Kärnten neben dem Training fünf bis sieben Stunden täglich gelernt. Da ist man zwar müde. Aber irgendwann ist der Druck so hoch, dass er die Müdigkeit übersteigt. Man ist zu viel mehr imstande, als man denkt.

Und dann?

Ich musste mich unter abenteuerlichen Umständen vom Trainingslager in Kärnten zur Prüfung kämpfen, weil das Flugzeug in Klagenfurt ausfiel. Unterwegs habe ich versucht zu lernen. Alles ging gut. Ich bin echt ruhig geblieben.

Haben Sie das im Sport gelernt? Aus Niederlagen Stärke zu beziehen?

Auf jeden Fall. Wenn man hinfällt, möchte man wieder aufstehen.

Befassen Sie sich als Mediziner auch mit der Frage, was beim Rudern mit Ihrem Körper passiert?

Das war der Urgedanke, warum ich überhaupt Medizin studieren wollte. Der Wunsch kam erst mit dem Leistungssport. Ich wollte das besser verstehen.

Und haben Sie es jetzt verstanden?

Vieles. Aber vieles versteht selbst die Wissenschaft noch nicht.

Und? Halten Sie Hochleistungsrudern für gesund?

Überhaupt nicht.

Und das sprechen Sie so gelassen aus?

Es ist sogar absolut ungesund. Es hat nichts mit Gesundheitssport zu tun. Es ist schädlich für den Rücken. Ich glaube, dass viele von uns ganz schön Rückenschmerzen hätten, wenn das Muskelkorsett weggehen würde. Mich eingeschlossen. In der Sommerpause, wenn ich ein bisschen weniger mache, merke ich es direkt: Schmerzen. Dann gehe ich wieder in den Kraftraum, und sie sind weg. Wir Ruderer haben nicht viele Verletzungen, aber: die Bandscheiben. Das ist unser Schwachpunkt.

Das Opfer, das Sie Ihrem Sport bringen? Bandscheiben kriegt man ja nicht wieder.

Man kann den Rücken durch Muskulatur stabilisieren. Und das Herz wird extrem belastet. Es wird sehr groß. Das Herz ist ja ein Muskel, und da muss man schon aufpassen.

Wie sieht denn das Aufpassen aus, wenn Sie sich überanstrengen fast bis zur Bewusstlosigkeit?

In Luzern dieses Jahr - das war mit das härteste Rennen, das ich je bestritten habe. Ich gerate manchmal in einen Zustand - ich beschreibe das gerne wie so eine Meta-Ebene: wenn man sich selbst von außen zuguckt. Weil man gar nicht mehr weiß, was man da gerade macht und wieso. Das Rennen in Luzern hat gerade erst angefangen und ich denke: Ich kann jetzt schon nicht mehr. Ich habe mich gefragt: Wieso mache ich das eigentlich? Und dann kommt das nächste Stadium, in dem man gar nichts mehr denkt. Man kommt ins Ziel und kann gar nicht so viel atmen, wie man atmen will. Und dann wird einem schwarz vor Augen. Das schlimmste ist, ein Schmerz zieht hinten hoch in den Nacken und bis auf die Stirn. Du kannst den Kopf einfach nicht mehr halten. Durch das Laktat scheint das zu kommen. Man kriegt totale Kopfschmerzen. Manche kriegen auch Nierenschmerzen wegen des Laktats. Weil die Nieren so viel arbeiten müssen. Laktat ist ja sehr sauer und bringt den Basenhaushalt durcheinander. Das ist extrem anstrengend für den Körper. So ein Ausbrenner-Rennen merkt man auch noch zwei Wochen danach, wenn man ehrlich ist.

Sie haben den Weltcup in Luzern gewonnen, mussten sich aber bis ins Ziel gegen die hartnäckigen Australier wehren.

Wir hatten ein schlechtes Rennen erwischt. Wir haben den Sieg nur über den Kampf geholt. Technisch war es nicht gut. Trotzdem war es ein cooles Rennen. Weil wir - das sage ich aber nur, weil wir mit 14 Hundertstel gewonnen haben, andernfalls würde ich sagen, das war das schlimmste Rennen meines Lebens - als Team gewonnen haben. Es fühlte sich furchtbar an. Hätte irgendwer nur eine Sekunde gezweifelt, hätten wir es nicht gewonnen. So was kann nicht gesund sein. Das glaube ich nicht.

Warum klingen Sie dann so vergnügt?

Ein Raucher weiß auch, dass Rauchen ungesund ist, und will nicht aufhören. Man nennt das kognitive Dissonanz.

Selbstrechtfertigung wider besseres Wissen.

Klassisch für alle Süchte.

Nach dem Motto: Warum soll ich auf etwas verzichten, nur weil es ungesund ist?

Ich weiß, dass ich das nicht lange machen kann. Ich habe die Hoffnung, dass ich den Absprung finde, solange ich noch sagen kann ich bin gesund. Es bereitet mir aber auch unglaublich viel Freude, mit den Jungs tagtäglich als Team zu trainieren und mich mit ihnen gemeinsam einem Ziel zu widmen.

Der Deutschland-Achter wurde in Glasgow Europameister, hat alle drei Weltcuprennen gewonnen - geht das so weiter?

Jetzt soll die Saison noch gekrönt werden.

Was fällt Ihnen beim Gedanken an die bevorstehende WM in Plowdiw als Erstes ein?

Vorfreude. Auf die WM, dass es jetzt endlich losgeht. Aber auch Vorfreude darauf, dass es dann endlich vorbei ist. Dass alles abfällt.

Wie stehen die Titelchancen?

Dadurch, dass wir immer gewonnen haben, ist unser Ziel: wieder gewinnen. Man rechnet sich schon etwas aus. Aber die Amerikaner zum Beispiel haben sich hier bei keinem Rennen gezeigt. Die waren nur zu Hause. Man kann sie nicht einschätzen. Deswegen bin ich sehr gespannt. Und auch von der EM bis zur WM kann noch viel passieren. Vielleicht haben die anderen etwas entdeckt, wodurch sie deutlich schneller werden. Vielleicht haben sie aber auch ihre Linie verloren.

Was ist das Besondere an Ihrer Position ganz vorne im Bug? Wie fühlt sich das an?

Besser als auf allen anderen Plätzen. Ich saß 90 Prozent meiner Karriere im Bug und würde nicht gerne woanders sitzen wollen. Es fühlt sich irgendwie freier an - man ist ein Stück weit allein, weil man keinen hinter sich hat. Das macht extrem viel aus. Man ist das Endglied, hält alles zusammen. Hannes Ocik auf Schlag gibt den Rhythmus vor. Ich sehe nicht wirklich, was er macht, er ist zu weit weg, etwa zehn Meter, ich sehe nur sein Blatt, kenne aber seine Bewegungen aus anderen Konstellationen, etwa im Zweier. Und dann kommt es darauf an, seine Bewegungen so zu verinnerlichen, dass ich sie nicht nachmachen muss, sondern parallel zu ihm mache. Das ist relativ schwierig. Wenn man etwas nachmacht, kommt die Reaktionszeit dazu, und das Verarbeiten dauert dann. Darum muss man es so verinnerlichen, dass man die Bewegung gleichzeitig macht. Zusammen - vielleicht sogar etwas vor ihm. Von hinten kann man sehr viel Ruhe ausstrahlen. Wenn man zappelig ist und auf der Rolle schnell nach vorne schließt, dann merken die anderen das.

Acht Prinzen auf der Erbse...

Rudern ist eigentlich ganz einfach, aber total komplex. Es geht um die Frage: Wer rudert am besten zusammen? Ich habe als Kind daran gearbeitet, und wir arbeiten heute noch dran. Man könnte individuell totalen Murks rudern rein technisch. Aber wenn man synchron ist, ist es trotzdem schnell. Darauf kann man es reduzieren.

Es sieht aus, als würde der Bugmann durch die Bootsbewegung manchmal auch ziemlich gebeutelt.

Ja, hinten geht es auf und ab. Wenn wir nach vorne rollen, geht es hoch, und dann auch wieder runter. Dementsprechend habe ich etwas mehr Varianz drin. Das merke ich aber gar nicht mehr, das ist automatisiert. Aber wenn ich es auf dem Video sehe, denke ich, ach, das geht ja doch ganz schön hoch und runter. Ich bin ja auch der Erste, der immer die Welle in den Rücken kriegt. Man darf sich aber nicht von äußeren Einflüssen beeindrucken lassen. Nur weil jetzt gerade starker Gegenwind oder vielleicht eine Seitenwelle drauf ist. Man darf keine Unruhe in die Mannschaft bringen.

Bei den Olympischen Spielen in Rio 2016 waren Sie noch Ersatzmann. Woran hatte es denn gelegen?

Am Trainer. Er hielt von mir nicht genug.

Wirklich?

Ich hatte mich qualifiziert. Leute, die hinter mir lagen, saßen im Boot und ich bin herausgeflogen. Da war ich schon sehr traurig. Erst mal bricht eine Welt zusammen, wenn man auf etwas so lange hingearbeitet hat und dann ist man bei Olympia nur Ersatz. Ein einschneidendes Erlebnis.

Solche Schicksale gibt es oft im Rudern. Wie haben Sie es dann doch geschafft?

Auch das hat mich motiviert. Ich konnte mich im Jahr danach deutlich steigern. Letztendlich hatte es bei mir an der Power gefehlt. Technisch gab es nie ein Problem, sondern die physischen Messwerte gefielen dem Bundestrainer vielleicht nicht so. Im Winter danach habe ich verstärkt daran gearbeitet. Mehr Krafttraining. Sehr viel mehr gegessen, was sehr anstrengend ist, wenn man immer mehr essen muss, als man eigentlich möchte. Man möchte ja auch gut zunehmen, Muskelmasse möglichst, und muss darum auch entsprechend Krafttraining machen. Ich konnte so fünf Kilo zulegen - vorher hatte ich 89 oder 90 Kilo gewogen, danach 96 Kilo. Das war ein ganz schöner Schritt nach vorne. Das Gute war, dass mit den Kilos linear auch die Leistung hochgegangen ist. Das war der Knackpunkt.

Sie sind wohl eher der schlaksige Typ?

Ich bin eher der Schlanke. Deswegen nennen mich alle liebevoll Pommes. Wegen der Länge, der Dünnheit und der rotblonden Haarfarbe, glaube ich auch.

Ist die eiserne Selbstdisziplin, die sie für den Hochleistungssport und für das Studium brauchen, angeboren?

Nein. Absolut nicht. Das lernt man. Ich war erst Handballer und Leichtathlet und bin durch Zufall zum Rudern gekommen. Vorher war ich nicht besonders diszipliniert. Eher faul. Das Problemkind. Zappelig. Meine Eltern hatten echt nichts zu lachen mit mir. Der Sport war dann das Ventil. Alles ist eine Frage der Motivation.

Das tägliche Rudertraining ist aber doch sehr langweilig. Wie passt das zu Ihnen?

Ich glaube, man muss ein bisschen stumpf sein. Leute, die zu viel darüber nachdenken, sich aufregen, dass man immer das Gleiche macht - das macht nicht glücklich. Ich kann dabei gut abschalten.

Sie sind klassischer Amateursportler. Die internationale Konkurrenz professionalisiert sich. Empfinden Sie das als bedrohlich?

Ich sehe das als etwas, was man nicht verhindern kann. Die Engländer waren die Ersten. Die studieren nicht. Sie haben ein anderes System. Bei dem Pensum, das die trainieren können, ist es schwierig mitzuhalten. Auf Dauer wird es darauf hinauslaufen, dass alle zur Bundeswehr oder Bundespolizei gehen. Ich würde aber nicht tauschen wollen. Ich war mal für ein Jahr Sportsoldat. Mir hat es überhaupt nicht gefallen, obwohl man ein gutes Gehalt bekommt. Nur rudern - das kam mir stumpfsinnig vor. Ich war nicht ausgelastet und wurde unzufrieden. Ich hatte das Gefühl, als ich mit dem Studium angefangen habe, habe ich mich auch physisch verbessert.

Wie erklären Sie anderen, dass es Ihre Leidenschaft ist, sich so brutal anzustrengen?

Ich bin extrem ehrgeizig. Manche Leute mögen das vielleicht auch nicht, dass man aus vielen Sachen einen Wettkampf macht. Es ist der Gedanke, besser sein zu wollen als andere. Ich kann aber auch akzeptieren, wenn andere besser sind als ich. Dann geht es darum, mich selbst zu verbessern. Ich bin immer auf Wettkampf gepolt.

Das Gespräch führte Evi Simeoni.

 

„Du kannst den Kopf nicht mehr halten" (FAZ.NET; 07.09.2018) von Evi Simeoni

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Evi Simeoni ist Autorin des Buches "Schlagmann"

veröffentlicht am Dienstag, 11. September 2018 um 18:22; erstellt von Hummels, Wilhelm
letzte Änderung: 12.09.18 08:07

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