FAZ 18.01.2024 Zukunft des deutschen Sport: "Leistung scheint nicht mehr so gefragt"

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Zukunft des deutschen Sports

"Leistung scheint nicht mehr so gefragt"

Franziska van Almsick und Thomas Berlemann, das Führungsduo der Sporthilfe, sprechen im Interview über die Bedeutung von Olympia für die Gesellschaft, mangelnde Wertschätzung und was Erfolge vorhersagbarer macht.

Autoren: Christoph Becker und Anno Hecker

 

Brauchen wir Olympische Spiele in Deutschland?

Franziska van Almsick: Unbedingt. Wir haben in den vergangenen Jahren viel geredet über den Sport, über die Probleme, die er hat. Aber es ist eigentlich nichts passiert. Jetzt ist es Zeit für eine Veränderung. Eine Bewerbung um Olympische Spiele, vor allem eine erfolgreiche, würde einen Ruck bedeuten für den Sport und darüber hinaus in die Gesellschaft wirken. Ich bin überzeugt, dass Olympia eine Relevanz für die gesamte Gesellschaft hat, wenn wichtige Themen wie zum Beispiel die Nachhaltigkeit gut umgesetzt werden. Das können nicht mehr viele Länder leisten. Deutschland kann das. Wir sollten Verantwortung übernehmen.

Olympische Spiele auszurichten, kostet sehr viel Geld, Milliarden.

Thomas Berlemann: Ja, das stimmt. Die Kosten sind hoch, aber sie sind eine Investition in die Zukunft, die das Land voranbringt. Wir erleben eine zunehmende Polarisierung unserer Gesellschaft. Ich spüre deshalb bei vielen eine Sehnsucht nach Projekten, die uns wieder einen könnten. Olympische Spiele gehören dazu.

Zuletzt waren bei Abstimmungen über deutsche Bewerbungsprojekte mehr als fünfzig Prozent der befragten Bürger und Bürgerinnen gegen Olympische Spiele in ihrer Region oder Stadt.

van Almsick: Genau deshalb müssen wir uns bewegen. Es geht nicht darum, uns auf ,Teufel komm raus' zu bewerben, sondern darum, die Menschen von den positiven Aspekten zu überzeugen. Jeder kann doch noch viele Jahre später auf der ganzen Welt sehen, was die Sommerspiele in München 1972 Positives für die Infrastruktur der Stadt und deren Bewohner bewirkt haben. Ist das nicht von unschätzbarem Wert? Wir brauchen Erlebnisse, die uns bewegen. Schauen Sie nur auf die Basketball-Nationalmannschaft. Wahnsinn, die werden Weltmeister. Und obwohl man nichts damit zu tun hatte, bewegt so ein faszinierender Erfolg, trägt einen durch die Woche oder länger. Bei mir war das jedenfalls so. Diese geteilte Freude, die hoffentlich auch die Basketballer wahrgenommen haben, wird sie auch ein bisschen weitertragen und motivieren.

Sie denken an die verbindende Wirkung?

van Almsick: Ja. Sport kann, das ist meine Erfahrung, Differenzen überwinden. Dafür ist er ein ideales Spielfeld, weil Hautfarbe, Religion, politische Einstellung keine Rolle spielen. Die Athletinnen und Athleten messen sich unter fairen, friedlichen Bedingungen. Das scheint die Welt aber mehr und mehr zu verlieren.

Sie meinen den Respekt voreinander?

van Almsick: Ja, leider hat auch der greifbare Respekt vor Spitzensportlern in unserer Gesellschaft nachgelassen. Die von der Sporthilfe in Auftrag gegebenen Umfragen belegen zwar, dass die Menschen im Land Spitzensportler noch als Vorbilder betrachten. Das wird aber nicht mehr so sichtbar, wie es sein müsste. Deshalb müssen wir etwas tun, damit die Athleten, ihre Leistungsfähigkeit, ihre Erfolge wieder mehr in den Fokus der Gesellschaft rücken. Leistung scheint ja nicht mehr so gefragt. Das halten wir für alarmierend.

Was wollen Sie tun?

Berlemann: Die Zahl der Medaillengewinne ist zurückgegangen. Aber das liegt nicht am Potential der Sportler. Wir haben sehr viele Talente in Deutschland. Die Rahmenbedingungen sind schlechter geworden. Sie müssen massiv verbessert werden.

Der Etat des Bundes für den Spitzensport ist in den vergangenen Jahren von 150 Millionen Euro pro Jahr auf 300 Millionen Euro gestiegen.

Berlemann: Das ist der Punkt. Es ist viel mehr Geld hinzugekommen, aber die Ergebnisse spiegeln dies nicht wider. Also haben wir ein Problem im System.

Welches?

Berlemann: Wir sind in den Wintersportarten effektiver...

...weil Bobfahrer und Rennrodler fast alles gewinnen in Sportarten, die nicht die weltweite Verbreitung und die Leistungsdichte haben wie etwa die Leichtathletik.

Berlemann: Wir sind nicht nur im Bob- und Rennrodeln effektiv. In den Sportarten, wo es eine Kombination von Mensch und Technik oder Mensch und Tier gibt, entstehen herausragende Resultate. Aber im Schwimmen zum Beispiel, in der Leichtathletik fehlt uns eindeutig die Breite in der Spitze. Da leben wir von zwei, drei Medaillenhoffnungen. Das ist zu wenig für ein Land wie Deutschland mit mehr als 80 Millionen Einwohnern.

Liegt das nicht eher, nehmen wir das Beispiel Schwimmen, an der Verbandsführung, die vor allem durch teure, verlorene Gerichtsverfahren aufgefallen ist in den vergangenen Jahren?

Berlemann: Es gibt Verbände, die nicht gut aufgestellt sind. Führungsschwächen müssen schnell der Vergangenheit angehören. Das System muss beweisen, dass es mit seinem Geld besser wirtschaften kann. Das scheint mir zuletzt nicht der Fall gewesen zu sein. Wir haben kein Geldproblem, sondern ein Effektivitätsproblem. Wir müssen zielgerichteter vorgehen, damit das Geld sinnvoller, potentialorientierter eingesetzt wird. Wenn dann noch eine Topbewerbung um Olympische Spiele dazukommt, die die Hauptbedenken adressiert und Lösungen bietet, wird ein Schuh draus. Wir sollten nicht versuchen, mit einer Bewerbung die strukturellen Probleme zu übertünchen. Wir müssen umgekehrt vorgehen.

van Almsick: Es geht uns nicht darum, mit Fingern auf andere zu zeigen. Die Aufgabe der Sporthilfe aber ist es schon, auf Missstände hinzuweisen. Es darf nicht so weitergehen. Dazu gehört neben den Reformbemühungen um den Spitzensport ganz entschieden der Einsatz um die Bedeutung des Sports in unserer Gesellschaft. Der deutsche Sport muss sich positionieren. Ich träume nicht davon, dass er einen Platz einnimmt, den er nie hatte. Aber er muss sich den Spielraum, die Position zurückholen, die er mal hatte und die ihm gebührt.

Hängt der Verlust des Stellenwertes mit ausbleibendem Erfolg zusammen?

van Almsick: Ja, sicher muss die Leistung stimmen. Aber es ist nicht so, als würden die jungen Sportler nicht das Potential und die Bereitschaft dazu haben. Wir liegen nicht am Boden. Unsere jungen Sportler, das ergeben unsere Umfragen, fühlen sich, ihre Leistung, aber nicht ausreichend geschätzt. 36 Prozent der heutigen Sportlergeneration haben das gesagt. Das muss uns alarmieren.

Was bedeutet das?

Berlemann: Wenn das so weitergeht, dann steigen diese jungen Athletinnen und Athleten, darunter viele Jugend- und Junioren-Europameister und -Weltmeister, noch häufiger aus. Die Abbruchquote ist zu hoch, sie steigt. Warum ist das so? Das hat in erster Linie mit den Rahmenbedingungen zu tun, keine Frage, aber auch mit der Wertschätzung in der Gesellschaft.

van Almsick: Der Erfolg kommt nicht, weil der Bundeskanzler auf dem Rollfeld steht und eine Olympiamannschaft verabschiedet, das ist klar. Aber so ein kleines Zeichen der Wertschätzung wäre mal ein Push für alle, die sich reinhängen ohne Ende und ohne Aussicht auf Reichtümer wie im Fußball. Was hindert denn Olaf Scholz daran, mal zu sagen, so eine Olympiabewerbung würde Deutschland gut stehen? Ich glaube, dass sich viele Menschen der Bedeutung des Sports, auch des Spitzensports, nicht bewusst sind.

Berlemann: Wir halten es für wichtig, dass sich führende Politiker, anerkannte Führungspersönlichkeiten, für Leistung als einen Wert einsetzen, der zuletzt eher infrage gestellt wurde, auch über den Sport hinaus. Wir, die Sporthilfe, ihre Unterstützer aus der Wirtschaft, setzen auf Leistung. Und deshalb setzen wir auch auf Olympische Spiele, für deren Organisation man mehr braucht als ein Bewegungstalent. Es geht im Kern um die Frage, welche Haltung wir haben zur Leistung.

Was wird die Sporthilfe dazu beitragen?

van Almsick: Wir müssen das Thema Sport mit Emotionen füllen, zeigen, dass Athleten nicht nur tolle, leidenschaftliche Sportler sind, die für etwas Schönes brennen, sondern sich dabei auch zu Persönlichkeiten entwickeln, die in der Gesellschaft nach Ende der Karriere eine konstruktive Rolle spielen können. Sie sind absolut leistungsbereit in einer Gesellschaft, deren Entwicklung davon lebt. Das scheint nicht mehr jedem klar zu sein. Ich finde, wir sollten mal wieder anfangen, gewinnen zu wollen. Und wenn es wehtut, weil man verliert, dann ist das auch hilfreich. Aus der Niederlage lässt sich lernen. Ich weiß das doch zu genau aus eigener Erfahrung. Mir fehlt eine gewisse Risikobereitschaft. Da kommen wir wieder zum Thema Olympia. Wir treiben gerade durch die Gegend. Ich habe das Gefühl, dass nichts Großes zur Freude der Menschen angepackt wird, obwohl darin so viele Chancen stecken.

Will die Sporthilfe den Sport mitgestalten?

van Almsick: Ja. Wir haben gute Ideen, weil wir so nah an den Athleten dran sind. Und weil wir so nah dran sind, wissen wir, was sie brauchen.

Welche Ideen sind das?

Berlemann: Wir werden das Thema Leistung 2024 in den Fokus stellen, uns noch konsequenter dem Thema verschreiben, auch mit Blick auf die kommenden Jahre. Wer sich die Sporthilfe genau anschaut, wird erkennen, dass wir auf dem Gebiet der Digitalisierung schon vergleichsweise sehr gut aufgestellt sind, aber gleichzeitig sehen wir hier unser größtes Potential, was zum Beispiel die Nutzung von Daten bei der Förderung der Athletinnen und Athleten betrifft. Wir können uns hier den Profifußball in vielerlei Hinsicht zum Vorbild nehmen. Wir müssen auf diesem Gebiet schnell vorankommen.

Um was zu erreichen?

Berlemann: Wenn Sie sich die Talente in Deutschland anschauen und eine datenbasierte, valide Aussage treffen wollen mit Blick auf die Frage, in wen wir investieren müssen und wollen, dann ist eine professionelle Digitalisierung zwingend. Es wäre dann möglich, recht präzise vorherzusagen, welche Sportler es schaffen können und was sie dazu zu welchem Zeitpunkt benötigen. Andere Länder machen das schon länger. Wenn wir noch intelligenter fördern - und das werden wir als Sporthilfe in Zukunft tun -, werden wir auch wieder bessere Ergebnisse erzielen.

F.A.Z.

veröffentlicht am Montag, 29. Januar 2024 um 11:18; erstellt von Hummels, Wilhelm
letzte Änderung: 29.01.24 11:23

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